
Interview
"Die Bilateralen sind eine wichtige Basis dafür, dass wir im Arbeitsmarkt bestehen können."
Ursula Häfliger erklärt, wieso gute Beziehungen zur EU der Schlüssel zu einem zukunftsfähigen Arbeitsmarkt sind
von Nicole Wiedemeier
Dr. Ursula Häfliger ist Geschäftsführerin der politischen Allianz «die plattform», welche die Interessen von Berufsleuten in Dienstleistungs- und Wissensberufen vertritt – also rund 80 Prozent der Erwerbstätigen in der Schweiz. Zudem ist sie Verantwortliche Politik beim Kaufmännischen Verband Schweiz. Die promovierte Politologin hat in mehreren Politikbereichen geforscht und gearbeitet. Sie setzt sich dafür ein, dass Berufsleute auch künftig im sich wandelnden Arbeitsmarkt bestehen können, und sieht die Bilateralen als wichtige Grundlage dafür.
Frau Häfliger, was bedeutet der bilaterale Weg für Sie persönlich?
Der bilaterale Weg ist das, was ich mir als junge Erwachsene sehnlichst gewünscht hatte: eine Möglichkeit, in Europa zu reisen, zu lernen und zu leben, ohne grosse Einschränkungen und ohne den ganzen Papierkrieg. Als junge Frau mit einer Berufslehre und aus eher bescheidenen Verhältnissen war das fast ein Ding der Unmöglichkeit. Die Qualifikationen waren in der Schweiz komplett verschieden, die Einreise und der Aufenthalt ausserhalb der Schweiz war mit grossen Hürden versehen. Mein Traum wurde mit den Bilateralen also endlich wahr und jetzt wünsche ich mir für meine eigenen Kinder, dass sie als Schweizerinnen und Schweizer diese europäische Perspektive erhalten können.
Die Schweizer Wirtschaft braucht qualifizierte Fachkräfte. Warum ist die Personenfreizügigkeit aus Ihrer Sicht der Schlüssel für einen zukunftsfähigen Schweizer Arbeitsmarkt?
Wenn wir von Zuwanderung aus der EU reden, geht es fast ausschliesslich um offene Stellen mit Schweizer Arbeitsverträgen, die durch EU-Bürgerinnen und -Bürger besetzt werden. Die Leute kommen, weil es offene Stellen gibt – sie leisten damit einen Beitrag zum Wohlstand der Schweiz und stellen keine Bedrohung für unsere Arbeitnehmenden dar.
Was wäre, wenn wir keinen oder einen nur sehr limitierten Zugriff auf europäische Fachkräfte hätten? Viele Stellen könnten nicht besetzt werden, weil wir in zahlreichen Bereichen einfach nicht genügend Leute ausbilden können und der Bedarf stark gewachsen ist – etwa im Gesundheitswesen (demographischer Wandel) oder in ICT-Berufen (Strukturwandel). Auch wenn mehr Menschen länger arbeiten und Frauen im Erwerbsleben bleiben, fehlen häufig die richtigen Qualifikationen oder die Bereitschaft, für unattraktivere Tätigkeiten. Kontingente sind auch keine Lösung, da diese zu langsam greifen und zu Verteilkämpfen zwischen Branchen und Regionen führen.
Das beste Erfolgsrezept für Erwerbstätige in der Schweiz ist Bildung, nicht nur Hochschulbildung, sondern insbesondere auch berufliche Weiterbildung. Leute, die neu ins Arbeitsleben eintreten, haben oft jetzt schon eine zukunftssichere Ausbildung. Alle anderen müssen sich – so will es der Bundesrat – selbst im Dschungel neuer Anforderungen, neuer Technologien und wie Pilze aus dem Boden schiessenden Kursangeboten zurechtfinden. Es gilt diese Generationen in der Transformation zu begleiten und sicherzustellen, dass sie zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Skills erwerben – z.B. vom Systemadministrator (Fachkräfteüberschuss) zum digitalen Kollaborationsexperten. Solange Angestellte die gefragten Skills mitbringen, finden sie auch Beschäftigung. Sei dies in der Schweiz, in Europa oder international. Das sollte der Fokus der Schweiz sein: eine unglaublich gute und flexible Workforce zu generieren. Für ganz Europa.
Wenn man im Kontext der Bilateralen III über Arbeitnehmende spricht, kommt schnell das Thema Lohnschutz auf. Was sagen Sie dazu?
Das ist ein wichtiges Thema, gewiss. Aber wir reden hier von einer kleinen Minderheit von Arbeitnehmenden, die vorübergehend in die Schweiz entsandt werden, aber immer noch in ihrem Ursprungsland angestellt sind. Dies meist im Bauhaupt- und Nebengewerbe oder auch in der IT. Der Grundsatz der EU ist hier recht klar mit dem Prinzip «gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort». In den Verhandlungen zu den Bilateralen III hat das Schweizer Verhandlungsteam auch noch einen «Swiss Finish» herausgeholt. Ich sage nicht, dass es keine europäischen Firmen gibt, die versuchen, die Arbeitsbedingungen in der Schweiz zu unterbieten, bzw. diese nicht einzuhalten. Solche Firmen gibt es überall, auch in der Schweiz. Aber mit dem nun der Schweiz zur Verfügung stehenden Instrumentarium im Rahmen der flankierenden Massnahmen kann die Schweiz angemessen reagieren. Der polnische Klempner, der möglicherweise während dreier Monate hier in der Schweiz niedrigere Spesen erhält als derjenige aus Deutschland muss uns beschäftigen. Sorgen mache ich mir aber vor allem um Erwerbstätige, die hier in der Schweiz leben und für einen Hungerlohn arbeiten. Das sollte unsere Priorität sein.
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